Bilder,
die etwas von der uns umgebenden Wirklichkeit wiedergeben, erzählen Geschichten und lassen Geschichten in den Köpfen ihrer
Rezipient/innen entstehen. Was davon aber basiert auf realen Dokumenten oder Begebenheiten? Welche Mechanismen verbergen sich
heute hinter Bildern und ihrer Produktion?
Die diesjährigen Preisträgerinnen des Preises der Kunsthalle Wien 2017
Marlene Maier (Akademie der bildenden Künste Wien) und Olena Newkryta (Universität für angewandte Kunst Wien) machen in ihren
jeweils mehrteiligen Installationen abseits eines filmischen Dokumentarismus Anteile der Bildproduktion wahrnehmbar, die üblicherweise
unbeachtet oder unsichtbar bleiben. Die konzeptuelle Verwandtschaft der Arbeiten der beiden Preisträgerinnen führte zu dem
gemeinsamen Ausstellungstitel Everything a Hand Can’t Take. Marlene Maier findet in ihrer 3-Kanal-Videoinstallation Food only
exists on pictures eine ästhetische „Sprache“ für jene Unschärfe und Abwesenheit, die aus der opaken Verquickung technologischer
und technopolitischer Vorgänge resultieren. Olena Newkryta eröffnet mittels ihrer multimedialen Installation folding unfolding
refolding mehrere Betrachtungsmöglichkeiten des „Realen“, um zugleich eine „visuelle Sprache der Berührung“ zu erzeugen, die
eine Verbindung zwischen haptischer und optischer Wahrnehmung herstellt.
Marlene Maier –
Preisträgerin der
Akademie der bildenden Künste WienMarlene Maiers (*1989 in Steyr, lebt und
arbeitet in Wien) 3-Kanal-Videoinstallation Food only exists on pictures thematisiert den heute gegensätzlichen Zustand
des Menschen zwischen vollkommener Sichtbarkeit bzw. Transparenz und seinem Verschwinden in der Anonymität virtueller wie
auch realer Räume.
Anhand dreier fiktiver und doch auf dokumentarischen Quellen basierender Personen, die ausschließlich
in erzählerisch und bildhaft memorierter Form auftauchen, schafft Marlene Maier einen mehrdimensionalen Raum der Unschärfe,
in dem sich Ab- und Anwesendes, Konkretes und Indifferentes gleichzeitig begegnen können. Für alle drei „Erzählungen“ setzt
sie unterschiedliche filmische Mittel ein – von Video-Stock-Footage-Assemblagen über Reinszenierungen vorgefundenen Fotomaterials
bis zur Reduktion der Bildebene auf Nahaufnahmen eines Monitors.
„Food only exists on pictures ist ein konsequent
durchdachtes und hervorragend ausgeführtes Projekt, um die Komplexität technologischer/technopolitischer Vorgänge und individueller
Bedürfnisse wahrnehmbar zu machen“, schreibt die Jury in ihrer Begründung.
Olena Newkryta
– Preisträgerin der Universität für angewandte Kunst Wien
Olena Newkryta (*1990 Wosnesensk, Ukraine,
lebt und arbeitet in Wien) verbindet in ihrer mehrteiligen, multimedialen Installation folding unfolding refolding
zwei primäre Wahrnehmungsweisen – die haptische und die virtuelle – mit zwei primären Agitationsformen: der praktischen und
der theoretischen. Der praktisch-manuelle Aspekt besteht zunächst im maschinellen Vernähen von Leinwänden – ein Prozess, der
als Videoprojektion auf denselben, für die Installation real ausgeführten Leinwänden zu sehen ist. Die materiellen, haptisch
erfahrbaren Bildträger stehen mit ihren virtuellen Ab- bzw. Vor-Bildern somit in einem interdependenten Verhältnis: keines
kann ohne das andere sein. In einem großformatigen C-Print macht die Künstlerin aus philosophischen Überlegungen zur „Falte“,
die nach Gilles Deleuze den Unterschied zwischen dem Seelischen und Leiblichen markiert, ein Bild: ihre eigene zerknitterte
Bettwäsche wurde Stück für Stück mit einem Handscanner „kopiert“, um die dadurch entstandenen Abbilder zu einer collageartigen
Grafik zu re-montieren.
Die Jury schreibt in ihrer Begründung: „In folding unfolding refolding reflektiert Olena
Newkryta sichtbare wie auch spürbare Aspekte von Wirklichkeit simultan wahrnehmbar zu machen. Dass ein Teil
ihres präzise durchdachten und ästhetisch anspruchsvoll durchgeführten Konzepts auf die Realität des Alltags, der Arbeit und
der körperlichen Existenz reflektiert, kommt dabei ebenso anschaulich zum Ausdruck wie ihre Auseinandersetzung mit Philosophie
und Fotografie-Theorie“.
Jury
Jury der Universität für angewandte Kunst Wien: Gerald Bast (Rektor
Univ. f. angewandte Kunst Wien), Nicolaus Schafhausen, Lucas Gehrmann und Juliane Bischoff (Kunsthalle Wien).
Jury der
Akademie der bildenden Künste Wien: Erwin Bohatsch, Dorit Margreiter (Akademie der bildenden Künste Wien), Anne Faucheret,
Lucas Gehrmann, Nicolaus Schafhausen (Kunsthalle Wien). Vorsitz: Andrea B. Braidt (Vizerektorin für Kunst | Forschung)
Preis
der Kunsthalle Wien
Der Preis der Kunsthalle Wien wird heuer bereits zum dritten Mal in Kooperation mit
den bedeutenden Wiener Kunstuniversitäten vergeben. Jährlich begutachten die beiden Jurys dafür insgesamt 150 universitäre
Abschlussarbeiten zur bildenden und medialen Kunst.
Neben einer Ausstellung mit den Arbeiten der beiden Künstlerinnen,
kuratiert von Lucas Gehrmann, erscheinen zwei Kataloge mit Texten der Herausgeber und der Jurymitglieder, mit Künstlergesprächen
sowie einem Abbildungsteil im Verlag Sternberg Press Berlin.
Die Preisgelder von je EUR 3.000 werden 2017 von HS art
service austria und Deco Trend GmbH zur Verfügung gestellt.
Kurator: Lucas Gehrmann