Verrottende Klänge
Projektleiter: Thomas Grill, Universität für Musik und
darstellende Kunst Wien, Institut für Komposition und Elektroakustik
Projektpartner: Till Bovermann, Universität für
angewandte Kunst Wien, Art & Science
Projektpartner: Almut Schilling, Akademie der bildenden Künste Wien, Institut
für Konservierung - Restaurierung
Laufzeit: 01.05.2018 - 31.10.2021
Austrian Science Fund (FWF): AR 445 Programm
zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK)
Verrottende Klänge –
über
den zeitlichen Verfall von digitalem Audio: sich dem Verderben hingeben
Der Großteil des heutigen Medienangebots,
Audio wie Video, wird in digitaler Form produziert und gespeichert. Digitale Daten sind vom Mythos der verlustfreien Übertragung
und Umwandlung umrankt, obwohl die tägliche Erfahrung beweist, dass Daten einem Verfallsprozess unterliegen, und sich letztendlich
auf verschiedene Weise zersetzen. Dies betrifft die Physis von Speichermedien und Abspielgeräten wie auch Medienformate und
Software im Kontext ihrer technologischen Infrastruktur. Das Projekt beschäftigt sich mit den Ursachen, Mechanismen und Effekten
solcher Verfallserscheinungen, speziell im Kontext von digitalen Klängen.
Da Degradation prinzipiell nicht verhindert
werden kann, ist es unser wesentlichstes Anliegen, der künstlerischen Praxis verborgene Freiheitsgrade im Umgang mit der Allgegenwart
des Verderbens zu offenbaren.
Wie können derartige Phänomene innerhalb der Klangkunst verstanden, ausgelöst, reproduziert,
gesteuert und genützt werden? Was sind die Mechanismen und Auswirkungen von Obsoleszenz in Hard- und Software? Wie kann man
den Prozess des Verfalls in der digitalen Domäne modellieren und was sind seine Produkte und Überreste? Welches sind die Einflüsse
der Umgebung und menschlicher Interaktion? Inwieweit sind künstlerische Werke Produkte ihrer Materialquellen oder ihrer Verfallserscheinungen?
Zu Beginn des Projekts werden wir zunächst die Grundlagen und Mechanismen des Datenverfalls erforschen, und fünf thematische
Workshops organisieren, um Ideen und Konzepte zu erarbeiten. Wir werden einen grundlegenden Baukasten für digitales Audio
entwickeln, der uns als Basis für Experimente an Verfallserscheinungen jeglicher Art dient, betreffend Datenträger, elektronische
Schaltkreise, algorithmischer Logik und Sprache, sowie in Bezug auf Ästhetik und Bedeutung in Form musikalischer Inhalte.
Ausgewählte experimentelle Prototypen werden als künstlerische Werke ausgearbeitet und der Öffentlichkeit in Form von Performances
und Installationen über lange Zeiträume oder in herausfordernden Umgebungen ausgesetzt. Schriftliche Publikationen und ein
Symposium werden über die Konzepte, Ergebnisse und Nachwirkungen des Projekts reflektieren.
Wir sehen unser Vorhaben
als Leuchtturmprojekt, welches die Aufmerksamkeit gegenüber größtenteils unerforschten Eigenschaften von digitalem Klang als
einer Hauptkomponente zeitgenössischer Kunst und weit verbreiteter Technologie verstärkt. Wir hoffen, das generelle Bewusstsein
die Materialität, Fragilität und sozio-ökonomischer Kontextualität digitaler Daten betreffend zu heben, indem wir diese Themen
in der breiteren künstlerischen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit diskutieren und verbreiten. Unser Zugang ist im Grunde
invers zu typischen technologischen oder wissenschaftlichen Methoden: Anstatt nach Wegen zur Überwindung eines allgemein so
verstandenen Defekts zu suchen, schlagen wir vor diesen Defekt anzuerkennen und einfließen zu lassen, sodass sich sein potentieller
Schaden zu einem Nutzen wandelt.