Über die Auseinandersetzung mit Raum- und Formproblemen wie Maß und Proportion,
Funktion und Material hinaus werden skulpturale und räumliche Ordnungen durch die Aneignung von Räumen, Vermessung von Kubaturen,
der Inszenierung von Raumlinien, Türlaibungen, Fensternischen, Schwellen und Übergängen überprüft und neu gelesen. Im Fokus
stehen nicht nur die Begriffe der Skulptur oder des Raumes selbst, sondern das Verhältnis von Körper und Raum, von Objekt
und Subjekt, von Wahrnehmung und Aktion, Situation und Handlung, um dem Raum wieder eine politische Dimension zu verleihen.
„Der
Wiener Raum führt Künstlerinnen und Künstler zusammen und lässt sie einen vielstimmigen Chor
bilden, um dem ‚Traum vom Zusammenhang‘ (Verena Dengler) einen Ausdruck zu verleihen. Es geht darum, mit der Skulptur im erweiterten
Feld - wie Rosalind Krauss es in ihrem gleichnamigen Aufsatz aus dem Jahr 1979 formuliert - und ihren Möglichkeiten der Architektur
plus jenen der ‚Nicht-Architektur‘ mit axiomatischen Strukturen als Grundwerte architektonischer Erfahrungen im realen Raum
zu intervenieren“, erläutert Kuratorin Eva Maria Stadler.
Lukas Kaufmann und Thomas Hitchcock entwarfen für diese
Form der Wechselbeziehungen ein Showcase, eine Skulptur, deren Funktion es ist, mit Zeichnungen, Fotografien und Skizzen von
Oskar Strnad, Friedel Dicker-Brandeis, Amelie von Wulffen, Josef Frank, Maria Lucia Stadlmayer, Johannes Porsch und Heinrich
Dunst ein textuelles Gewebe zu schaffen, das die Spannung und Relationalität zwischen Raum, Körper, Textur und Haptik, Situation
und Erfahrung zu vermitteln sucht.
Wiener Raum wird hier als Körperarchitektur begriffen, die in Jos de Gruyter
& Harald Thys’ Arbeit ‚Seated White Element’ buchstäblich sichtbar wird.
Wie Arbeitswelt und der private Raum
aufeinander bezogen sind, thematisieren Verena Dengler, Sofie Thorsen und Lucy McKenzie in ihren Arbeiten. Im Spannungsfeld
von Wiener Werkstätte, Wiener Werkbund und dem Roten Wien lassen sich Narrationen ausmachen, in denen das Öffentliche privat
und das Private öffentlich wird.
Josef Dabernig und Marko Lulic beschäftigen sich mit der Erfahrung des Individuums als
Menge, als gesellschaftlicher Körper. Der architektonische Raum wird bei Dabernig mit dem kollektiven Erleben von Arbeit und
Freizeit kurzgeschlossen, während Marko Lulic der Frage nachgeht, wie sich Utopien und Ideologien in Räume und Körper einschreiben.
Christoph Meier, Manfred Pernice, Imre Nagy, Simon Iurino und Eric Kläring erweitern das Feld der Skulptur um zeitliche,
habituelle und prozessuale Funktionen. Gebrauchsgegenstände oder zum Gebrauch bestimmte Materialien entfalten skulpturale
Qualitäten nicht nur auf Grund ihres Status als „ready made“, sondern mehr noch als Schnittstellen zwischen Aktion und Passivität,
zwischen innen und außen. Meiers Miniaturfabriken dampfen vor sich hin, Pernice’s Fahrräder markieren den öffentlichen Raum
und Imre Nagy lässt mit einem bemoosten Ziegel an Raum als verdichtete Form von Zeitlichkeit denken. Gemeinsam ist ihnen das
Verständnis von Skulptur als gesellschaftliche Form.
Dem Wert der Arbeit, des täglichen Tuns als körperlichen und
performativen Akt verleihen Melanie Ebenhoch, Sonja Leimer, Jenni Tischer und Lone Haugaard Madsen einen besonderen Stellenwert,
indem sie an der Form arbeiten, um diese werden zu lassen. Die determinierte und zugleich offene Form beschreibt ein Verständnis
von Arbeit, das sich weniger im Produkt als im Prozess verorten lässt: Arbeit als Form - als soziale Bindekraft. Jenni Tischers
Fadenstücke, Melanie Ebenhochs Keramiken, Sonia Leimers schwarze Löcher oder Lone Haugaard Madsens eingegipste Arbeitshose
vermögen der Arbeit einen politischen und zugleich poetischen Wert zu verleihen.
Architekt_innen, wie Josef Frank,
Oskar Strnad, Friedel Dicker-Brandeis oder Margarethe Schütte-Lihotzky übten bereits in der anbrechenden Moderne, in die sie
selbst involviert waren, Kritik an einer allzu mechanistischen Moderne, mit ihrer nahezu blinden Unterwerfung unter die neuen
Technologien. Sie vermissten die menschliche Komponente, und mehr noch die Berücksichtigung des Körpers, der Bewegung, des
Blicks oder des Sentiments, wie es Josef Frank formuliert hatte.
Eva Chytilek, Sebastian Doplbaur, Nora Schulz
und Anna Zwingl öffnen ihre Arbeiten für ein Wechselspiel von Kräften und Wirkungen, indem sie Fragilität, Zerbrechlichkeit,
Schutz oder Anpassung und die Rolle des Individuellen in der Menge zum Thema machen.
Raumbilder wären die Träume der
Gesellschaft, sagt Siegfried Kracauer, und wo immer die Hieroglyphe eines Raumbildes entziffert ist, dort böte sich der Grund
der sozialen Wirklichkeit dar. Heinrich Dunst und Johannes Porsch untersuchen Hieroglyphen von Raumbildern ganz buchstäblich.
Sie arbeiten mit der Überlagerung von Zeichen, wie Buchstaben, an der Konstellation von Körper und Raum im relationalen Verhältnis
und beschäftigen sich dabei mit dem Bezugssystem der Beobachtung. Johannes Porsch legt seinem grafischen Entwurf, der auch
der Kommunikation der Ausstellung dient, den Begriff der revolutionären Kleinarbeit von Otto Bauer, einem der österreichischen
Politiker des Roten Wien zugrunde.
„Wir verstehen die Ausstellung
Wiener Raum als einen
relativistischen, prozessualen Raum, der sich aus Handlungen, Beziehungen, Situationen und Erfahrungen, aus dem Persönlichen
und dem Gesellschaftlichen konstituiert“, so Kuratorin Stadler.
Lotte Lyon, Mirjam Thomann und Heimo Zobernig entwickeln
Routinen des Alltags, und machen Serie, Repetition und Reproduktion mit ihren Abweichungen und Fehlern im Spannungsfeld von
privat und öffentlich zu zentralen Faktoren emanzipierten Handelns.
Fotos zum Download auf
www.dieangewandte.at/presseOrt: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, 1., Schönlaterngasse 5,
Zeit:
Ausstellungseröffnung am 14. März 2018 um 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 15. März – 14. April 2018. Mi bis Sa von 14 bis 18
Uhr. Eintritt frei.
Bildnachweis & Credits:Friederike Domnosil, aus: Mappe mit Architektur-
und Bühnenentwürfen der Strnad-Schule, Rudolf Larisch gewidmet. 1926. Inv.Nr.8885/8.
© Universität für angewandte Kunst
Wien, Kunstsammlung und Archiv
Margarete Schütte-Lihotzky, Waschplatz, 1935-1936, Inv.Nr. 119/26 © Universität
für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv
Friedl Dicker, Entwurf für Wohnung Hans Heller, Farbstudie
für Fußboden im Vorzimmer, um 1927, Inv.Nr. 939/5 © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv
Josef Frank, Nachtkästchen, Möbel, 1925, Inv.Nr. 17.884/20/FW © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und
Archiv
Jenni Tischer, Making Gris VIII, 2014. Courtesy: Jenni Tischer und Krobath Wien. © Foto: Hans-Georg Gaul