Eröffnungsrede
Angewandte Festival 2020
Gerald Bast, Rektor
24. Juni 2020
Die Rede unseres Rektors zur Eröffnung des Angewandte Festivals 2020 zum Nachschauen, -hören und -lesen.
Den Videomitschnitt des Auftakts gibt es auf der offiiziellen Festivalwebsite unter:
https://angewandtefestival.at/projekt/eroeffnungsrede/
Angewandte Festival 2020.
Eröffnungsrede vom 23.6.2020
Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Universität für angewandte Kunst Wien! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich begrüße Sie
zur Eröffnung des Angewandte Festivals 2020. Es wird ein Festival der anderen Art. Vom Corona-Virus erzwungen ein Hybrid zwischen
digital und analog. Ohne Anspruch auf Perfektion. Aber mit viel Enthusiasmus. Ja. Wir ziehen das durch. Trotz aller widrigen
Umstände. Und die Umstände sind widrig. „Das Virus ist eine Zumutung für die Demokratie!“ hat Angela Merkel gesagt und wieder
einmal hätte man sich ähnliche Worte von Österreichischen Politiker*innen gewünscht. Das, was das Virus unserer Gesellschaft
aufgezwungen hat, war und ist mehr als eine Zumutung. Es ist eine Gefahr – nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für
die Demokratie. Und für die Universitäten.
Wie alle anderen Universitäten, war die Angewandte seit März im
Distanzmodus. Die physische Schließung der Universitäten hat unsere Arbeit jedoch nicht beendet, sondern in andere alternative,
zumeist digitale, Räume verlegt. Lehre, Forschung, Austausch und Debatte finden statt. Das war anstrengend und es war möglich.
Dass es machbar war, ist den Angehörigen der Angewandten zu verdanken: den Studentinnen und Studenten, dem Lehr- und Forschungspersonal
und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Planung, Service und Verwaltung. In einer unglaublichen Kraftanstrengung haben
sie alle dafür gesorgt, dass die Universität weiter aktiv bleiben konnte. 95 % unserer über 800 Lehrveranstaltungen haben
stattgefunden. Anders, mit viel Improvisation, Phantasie und Kompromissbereitschaft – aber sie haben stattgefunden. Es wurden
weiter Rechnungen bezahlt, die Gehälter wurden pünktlich überwiesen, niemand wurde gekündigt, in gelebter Solidarität halfen
sich Menschen gegenseitig – ungeachtet ihrer formellen Arbeitsplatz-beschreibungen. Bücher wurden geschrieben, Vorträge gehalten,
Prüfungen abgelegt. Semesterprojekte, Diplomarbeiten, Master- und Bachelorarbeiten wurden präsentiert. Und es waren großartige
Arbeiten. Ich danke an dieser Stelle allen, die das möglich gemacht haben. Und ich gratuliere jenen, die in diesem denkwürdigen
Semester ihr Studium an der Angewandten abgeschlossen haben. Die Sponsionsfeier, die festliche Gelegenheit, sich gemeinsam
mit Eltern, Freund*innen, Lehrenden und Studienkolleg*innen über den erreichten Studienabschluss zu freuen – das werden wir
im Herbst nachholen. Und zwar am 15. und 16. Oktober 2020.
Ja, wir werden wieder zurückkehren in die Räume
der Universität, in die Werkstätten und Studios. Wir werden wieder von Angesicht zu Angesicht – ohne Bildschirm dazwischen
– miteinander reden, Meinungen austauschen und Kontroversen austragen. Und das alles wird dann wichtiger und wertvoller sein
als je zuvor. Darauf bereiten wir uns vor, wenn wir von der Gestaltung der Zukunft sprechen – und definitiv nicht auf ein
Abdriften in die digitale Eindimensionalität. Und schon gar nicht auf eine stillschweigende Akzeptanz autoritärer Strukturen
in einer fragmentierten Gesellschaft zurückgezogener, isolierter Menschen.
Denkt man an die vielen Menschen,
die die Krise in ihrem Mensch-sein und in ihrer Existenz massiv bedroht, gerät der Hinweis auf die Krise als Chance sehr oft
auch in die Nähe des Zynismus. Ja, die drastischen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus waren richtig und notwendig.
Aber 500.000 Arbeitslose und 1,2 Millionen Menschen in Kurzarbeit haben Angst, Angst vor einer Zukunft ohne Arbeit und ohne
Chancen. Zig-Tausende Künstler*innen, die weder Arbeitslosengeld, noch Kurzarbeitsentschädigung, noch Soforthilfegelder, von
denen sie leben können, erhalten haben, leben in akuter Angst. Und die im Schatten der Corona-Gesundheitskrise Fahrt aufnehmende
Wirtschaftskrise wird weder auf den Arbeitsmärkten noch im Kunst- und Kultursektor die Chancen erhöhen, außer die Gesellschaft,
die Politik, die gewählten Vertreter*innen in Parlament und Regierung schaffen Rahmenbedingungen, die mehr Chancen bieten
und Existenzängste verringern. „Angst essen Seele auf.“ hat uns der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder eindringlich vor
Augen geführt. Lassen wir nicht zu, dass wir aufgefressen werden.
Ja, eine Krise bedeutet Veränderung. Das
kann auch eine Veränderung zum Positiven sein. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es in der österreichischen Politik möglich
ist, angesichts großer Herausforderungen Mut zu zeigen. Noch wenige Monate bevor die Corona-Krise unter dem Motto „Koste es
was es wolle!“ bekämpft wurde, haben dieselben Politiker*innen erklärt, dass wir uns einen entschlossenen Kampf gegen die
Klimakrise nicht leisten können. Schon gar nicht im Alleingang, sondern nur im globalen Gleichklang aller Staaten. Kann man
diesen Mut zur positiven Veränderung mitnehmen und übertragen auf andere Bereiche, die dringend positive Veränderung brauchen?
Auf die prekäre Situation vieler Künstlerinnen und Künstler. Auf die gesellschaftliche Rolle der Kunst in ihrer gesamten Breite
und Vielfalt. Auf die notwendige Neudefinition des Begriffs der menschlichen Arbeit in Zeiten fortschreitender Automatisierung.
Auf das System der Pflege angesichts einer alternden Gesellschaft. Auf die Universitäten, die immer mehr geprägt sind von
Quantifizierung und Fragmentierung, obwohl die Komplexität der globalen Herausforderungen die Fähigkeit zum Erfassen von Zusammenhängen
und Wechselwirkungen erfordern würde. Können wir den Mut zu notwendigen und sozial verträglichen Veränderungen mitnehmen?
Kann die gesamte Gesellschaft von der Krise gewinnen oder wird es nur Krisengewinnler*innen mit Partikularinteressen geben?
Viele, die jetzt von der Krise als Chance reden, haben leider ein Bild von der Zukunft vor Augen, dem es zu
widersprechen gilt. Ein Bild, in dem zivilgesellschaftliche Initiativen inexistent oder zumindest unerwünscht sind. Ein Bild
von der reinigenden Kraft des Kapitalismus, der die Schwachen zum Opfer fallen. Ein Bild von einer digital gesteuerten Gesellschaft,
in dem Grundelemente der liberalen Demokratie verzichtbar oder gar störend sind. Ein Bild von digitalisierten Universitäten,
die auf effizienten und billigen Wissenserwerb getrimmt sind. Ja oder nein. Richtig oder falsch. Fragen beantworten aber keine
Fragen stellen. Hinterfragen oder gar Infrage stellen ist nicht erwünscht. Es stört die Effizienz des Wissenserwerbs,
der auf die Akquirierung von Fakten reduziert ist.
„Die Zukunft der Universität ist online. Und sie ist billiger.“
Das hört und liest man jetzt immer öfter. Auch in Österreich. Digitale Lehrveranstaltungen. Digitale Prüfungen. Digitale Auslandssemester.
Vielleicht bekommt jede/r Studierende in Zukunft einen Laptop. Wie jetzt einige Schüler*innen. Damit die durchdigitalisierte
politik-sterile Universität reibungslos funktionieren kann.
Bildung reduziert auf 1 und 0. Dass die Welt
so weder funktioniert noch erklärt werden kann, wird aus Effizienzgründen verdrängt. Das Universum ist nicht digital aufgebaut.
Weder eine Gesellschaft noch ein Mensch lebt nach dem Prinzip 1 oder 0. Wenn schon Mechanik, dann eher noch die Quantenmechanik.
Unschärfe, Ungewissheit, Mehrdeutigkeit, Vielschichtigkeit, Mehrdimensionalität, Non-Linearität. Ja, das sind auch Parameter,
die in der Kunst eine zentrale Rolle spielen.
Künstler*innen können mit ihren Werken, eine Antithese zur
Logik der Linearität erzeugen. „All art is useful, yes, but the usefulness we are talking about is the immersion of art directly
into society with all our resources.” schreibt die Künstlerin Tania Bruguera in ihrem Manifest Useful Art. Ja, wir
werden auch daran arbeiten müssen, Kunst in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Das ist nicht bloß eine Frage, WO Kunst stattfindet,
sondern auch WIE. Es geht nicht nur darum die Orte der Kunst zu erweitern, sondern auch die Formate.
„We have to enter
people's houses, people's lives, this is where useful art is.“ Brugueras Useful art hat nichts mit
banalem Utilitarismus zu tun.
Im Spanischen Original zeigt der Begriff „Arte Util“ in eine andere – gestaltende
– Richtung. Denn das Wort „Util“ ist im Spanischen auch ein Substantiv mit der Bedeutung „Werkzeug“.
Die Kunst als Werkzeug zur Gestaltung der Gesellschaft. Das mag anmaßend und hypertroph klingen, ist aber eine
zivilisatorische Notwendigkeit.
Menschen, die sich mit Kunst auseinandersetzen, Menschen, die künstlerische
Strategien innerhalb oder außerhalb des Systems Kunst einsetzen können, denen gehört die Zukunft. Weil sie in der Lage sind,
eingefahrene, eindimensionale, lineare Denk- und Handlungsmuster zu durchbrechen. Agieren „Out of the Box“. Das ist in Zeiten
wie diesen dringend notwendig. Notwendig im ursprünglichen Sinn des Wortes – angesichts von Krisen, Klimawandel und technologischen
Revolutionen.
Aber dazu brauchen wir Universitäten, für die das Fragen und Hinterfragen, das Abwägen
und Relativieren, der Diskurs und der Widerspruch unverzichtbare, ja eigentlich die wichtigsten Elemente einer Universität
sind. Dazu brauchen wir Universitäten, die sich nicht im Wettlauf um das Erreichen quantitativer Indikatoren erschöpfen. Inhaltlich
erschöpfen im wahrsten Sinn des Wortes. Dazu brauchen wir Universitäten, die mindestens so intensiv an ihrer Effektivität
im Sinne gesellschaftlicher Wirksamkeit arbeiten, wie an ihrer quantitativ messbaren, schein-objektiven Effizienz. Dazu brauchen
wir Universitäten, die in der Krise eine Aufforderung zum Widerspruch gegen Zynismus, zum Widerspruch gegen digitale Verkürzungs-
und Einsparungsideen und zum Widerspruch gegen demokratiegefährdende Tendenzen sehen. Dazu brauchen wir Universitäten, die
Bildung als Instrument der Aufklärung verstehen, Universitäten, die daran arbeiten, dass in Zukunft möglichst viele Menschen
Veränderung aktiv mitgestalten können statt erleiden zu müssen.
Dazu brauchen wir Universitäten wie die Angewandte.
Ich danke Ihnen.
Und ich wünsche Ihnen eine erholsamen, Kraft spendenden Sommer!
Im Anschluss spricht
Eva Kernbauer mit Tania Bruguera, jener Künstlerin, die es nicht als Anmaßung sieht, mit den Mitteln der Kunst an der Gestaltung
der Gesellschaft teilzuhaben, sondern als Auftrag und vielleicht sogar so wie ich als zivilisatorische Notwendigkeit.
Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien