Ins Dunkle schwimmen

Abgründe des kreativen Imperativs

Eine Ausstellung von Kunstsammlung und Archiv

Die Ausstellung Ins Dunkle schwimmen zeigt gegenwärtige künstlerische Auseinandersetzungen mit der Modellierung des Individuums als schöpferisches Subjekt im „ästhetischen Kapitalismus“. Anknüpfend an die letzte große Sammlungspräsentation von Kunstsammlung und Archiv zum Wirken des Kunstpädagogen Franz Čižek fragt sie nach Fortschreibungen und Dekonstruktionen der Hoffnungen der Moderne auf Kunst als vermeintlich authentischen Ausdruck des Inneren und auf Kreativität als Werkzeug zur Verbesserung des Lebens.
Mit diesem Kontext verbunden ist die psychologisierte Kultur der Spätmoderne, die sich durch therapeutische Selbstbeschäftigung und performative Selbstentfaltung auszeichnet und deren kapitalistische Verwertung die gesellschaftlichen Veränderungen des 20. und 21. Jahrhunderts permanent begleitet. Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch Saving the Modern Soul: Therapy, Emotions, and the Culture of Self-Help (2008) nachzeichnet, entstand in der Zwischenkriegszeit der „emotionale Stil“ im Zuge einer Modifizierung von Sigmund Freuds Theorien durch die us-amerikanische Kultur der Ich-Psychologie. Kreativität nimmt heute eine grundlegende Funktion in Subjektivierungsprozessen ein, dabei steht sie im Spannungsverhältnis zwischen eigenem Begehren und sozialer Erwartung, zwischen Wunsch und Imperativ. So spricht der Kultursoziologe Andreas Reckwitz in diesem Zusammenhang auch von einem „Ideal der Kreativität“.

Der Titel der Ausstellung Ins Dunkle schwimmen verweist atmosphärisch weniger auf ein ominöses Unbekanntes, als vielmehr auf die tiefen Gewässer, gefährlichen Strömungen und mitunter finsteren Abgründe von Selbstzweifeln und gefühlter Unzulänglichkeit, die mit Kreativität aufs Engste verbunden sind. „Be your own brand“: Selbstverwirklichung und Selbstinszenierung gehören aktuell zu den Grundkomponenten des unternehmerischen Selbst. Etwas zu tun, wofür man (ver-)„brennt“, ist Teil des Ideals eines gelungenen Lebens und wird in den sozialen Medien gehypt. Wo postpandemische Trauma-Bewältigungsstrategien statt gemeinschaftlicher Fürsorge oft nur individualisierende Self Care anbieten und sich die ökologischen, sozialen und politischen Krisen verschärfen, kommt (Selbst-) Ausbeutungsverhältnissen eine immer existenziellere Bedeutung zu.

Mit der Dialektik von kreativer Selbstoptimierung, Fürsorge und Ausbeutung eng verbunden sind wiederum Modelle künstlerischer Subjektivierung. Künstler:innen sind als „Selbstbildner:innen“ par excellence prototypisch für die zum gesamtgesellschaftlichen Anforderungsprofil gewordene kreative Existenz. Dergestalt verzerrt erweist sich die moderne Idee von der „Freiheit der Kunst“ als Paradoxon und Dilemma, in dem die Vorstellung von künstlerisch-kreativer Verausgabung des Selbst zu einem „inneren Feind“ geworden ist; oder aber zu einem Prinzip, das es in bewusst gewählter Passivität oder kollektiv zu hintergehen gilt. Umgekehrt stellt sich angesichts der zunehmenden Automatisierung kreativer Handlungen die Frage nach der Verantwortung und Definition künstlerischer Arbeit grundlegend neu.

Die Ausstellung Ins Dunkle schwimmen versammelt künstlerische Arbeiten, die sich den widersprüchlichen Anforderungen im Kontext der Kunstproduktion widmen und dabei auf Abgründe und Grenzen stoßen. Sie bezieht dafür zum einen Werke aus der Sammlung der Angewandten ein, die die Fiktion des „autonomen Werks“ zur Disposition stellen. Zum anderen zeigt sie künstlerische Auseinandersetzungen, die nach den Bedingungen der Zurichtung des Selbst fragen und Verhältnisse zwischen Kunstproduktion und der Arbeit am eigenen Leben ausloten und nach Exit-Strategien aus der Instrumentalisierung des Kreativitäts- und Freiheitspathos suchen.

Mit Arbeiten von: Uli Aigner, Monika Baer, Linda Bilda, The Critical Ass (Anke Dyes, Niklas Lichti) & Michele Di Menna, Josef Dabernig, Hanne Darboven, Verena Dengler, Jana Euler, Harun Farocki, Jessyca R. Hauser, Alexander Hempel, Richard Hoeck & John Miller, Helena Huneke, Martin Kippenberger, Josef Kramhöller, Michael Krebber, Tonio Kröner, Maria Lassnig, Ghislaine Leung, Lee Lozano, Friederike Mayröcker, Luzie Meyer, Sigmar Polke, Ulla Rossek, Jack Smith, Josef Strau, Jean-Marie Straub, Martine Syms, Franz West, Tanja Widmann, Amelie von Wulffen, Min Yoon

Schaukasten Kunstsammlung und Archiv:
Anna Haifisch, The Artist, Tusche auf Papier, digital koloriert, 2026/17

Kuratiert von Cosima Rainer und Robert Müller 
Kuratorische Assistenz: Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère

Ausstellungsorganisation: Judith Burger, Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère
Ausstellungsgestaltung: Robert Müller

Leitung Universitätsgalerie der Angewandten: Anette Freudenberger

Öffnungszeiten
Mi–Sa: 14:00 – 18:00 Uhr (Feiertags geschlossen)

Der Eintritt ist kostenfrei!

30. Oktober 2024
Lecture-Performance: Luzie Meyer
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe Repetitions. Artistic Perspectives und des Seminars Wiederholungen. Künstlerische Perspektiven organisiert von Stefanie Kitzberger (Kunstsammlung und Archiv/Kunstgeschichte), Eva Maria Stadler und Jenni Tischer (Kunst und Wissenstransfer)
Ort: Auditorium, Universität für angewandte Kunst Wien
Vordere Zollamtsstraße 7, 1030 Wien

9. November 2024, 18:00 Uhr
Performance: Alexander Hempel
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien

13. November 2024, 14:00 Uhr
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien

14. November 2024, 18:00
The African Desperate, Martine Syms, 2021
Im Anschluss an das Screening findet ein Gespräch mit den Künstler:innen Brooklyn J. Pakathi, Frida Robles Ponce und der Theoretikerin Nanna Heidenreich statt.
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vienna Art Week
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Bitte um Anmeldung unter: ka-newsletter@uni-ak.ac.at

20. November 2024, 15:00
Ausstellungsführung mit Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère (Kuratorische Assistenz)
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien

14. Januar 2025, 14:00
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien

15. Jänner 2024
„Questions“: Ghislaine Leung
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe Repetitions. Artistic Perspectives und des Seminars Wiederholungen. Künstlerische Perspektiven organisiert von Stefanie Kitzberger (Kunstsammlung und Archiv/Kunstgeschichte), Eva Maria Stadler und Jenni Tischer (Kunst und Wissenstransfer)
Ort: Auditorium, Universität für angewandte Kunst Wien
Vordere Zollamtsstraße 7, 1030 Wien

23. Jänner 2025, 16:00 Uhr
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof
Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien


Mehr Information

Franz West, Liège, 1989 © Archiv Franz West, Estate Franz West, Photo: Günter König/Sigmund Freud Privatstiftung

Termine

Ausstellungseröffnung
15. Oktober 2024 - 18:00
Ausstellungsdauer
16. Oktober 2024 - 01. Februar 2025
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5, Stiege 8, 1. Stock, 1010 Wien
Performance: Alexander Hempel
09. November 2024 - 18:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
13. November 2024 - 14:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Screening: The African Desperate
14. November 2024 - 18:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Ausstellungsführung mit Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère
20. November 2024 - 15:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Ausstellungsführung mit Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère
18. Dezember 2024 - 15:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
14. Januar 2025 - 14:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
„Questions“: Ghislaine Leung
15. Januar 2025
Universität für angewandte Kunst Wien, Auditorium, Vordere Zollamtsstraße 7, 1030 Wien
Ausstellungsführung mit Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère
15. Januar 2025 - 15:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien
Kurator*innenführung mit Cosima Rainer und Robert Müller
23. Januar 2025 - 16:00
Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof Schönlaterngasse 5/Grashofgasse 3, 1010 Wien